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Der Fluch des Korrektur-Auges

 

Ich höre schon, wie es mir aus dem Internet entgegen schlägt: Was? Ein Lektor mit Blog? Oh Gott, da kommen jetzt dreitausend langatmige Beschwerden über Beistrichsetzung! Am Ende will sich die Verrückte noch über Konjunktive auslassen!

 

Nun... ja, im Prinzip ja. Aber eigentlich ist das hier eher eine kleine Ecke des Internets, in der ich ausnahmsweise mal schreiben kann wie ein normaler Mensch. Und wenn ich dabei ein paar Schwänke aus dem Lektoren-Leben unters Volk bringen kann, umso besser.

 

Machen wir uns doch nichts vor: Lektoren sind irgendwie Nerds. Genauer gesagt sind sie die Art von Kindern, die auf dem Schulhof von allen anderen Nerds vermöbelt wurden. Ja, sogar von den Mathe-Heinis. Und denen, die die ganze Mathestunde über unterm Tisch irgendein gammliges Sammelkartenspiel gespielt haben. Niemand mag Klugscheißer. Und so ein handelsüblicher Lektor ist eigentlich nichts anderes als ein staatlich zertifizierter solcher. Dabei ist das nicht mal unsere Schuld. Jeder Lektor leidet unter einem furchtbaren Fluch. Ich persönlich glaube, dass dieser bereits im alten Ägypten seinen Anfang fand, als irgendein Praktikant eine falsche Hieroglyphe ins Grab des königlichen Hofschreibers hämmerte und der Schreiber im Jenseits (vor Anubis und der versammelten Mannschaft) darüber völlig aus der mumifizierten Haut fuhr. Seitdem werden immer wieder Menschen geboren, die sich berufen fühlen, anderen Leuten über die Schulter zu schauen und Dinge zu sagen wie: „Du hast ‘Hunger’ mit sieben Buchstaben geschrieben, weißt du das?“ Das ist der Fluch des Korrektur-Auges.

 

Und das kriegt man auch nicht mehr weg. Ein normaler Mensch geht durch die mit Plakaten und Schildern tapezierte Stadt und freut sich des Lebens. Ein Lektor hingegen ... „Da fehlt ein H. Wie schreiben wir denn ‘fürs’? Wo kommen die ganzen Apostrophe her? Da muss irgendwo ein Nest sein.“ Vorbei an einem Geschäft, dessen Fenster verkündet: „ABVERKAUF: WIR SCHIESSEN“. Oh Gott, auf wen? Ducken! Person mit Tattoo: „No regerts“. Solltest du aber haben.

 

Auf der Arbeit ist es noch schlimmer. Der Anblick von zwei Lektorinnen, die sich nicht über die Bindestrichsetzung in Anglizismen einig werden, schlägt so manch einen unglücklichen Werbetexter in die Flucht. Und dann der ewige Kampf mit der Grafikabteilung um die Existenzrechte von Beistrichen. „Sieht nicht gut aus.“ – „Ist aber richtig!“ – „Sieht trotzdem nicht gut aus.“

 

Ja, es ist ein furchtbarer Fluch. Ich warte ja nur noch darauf, dass einmal jemand aus unserer Zunft wegen Vandalismus verhaftet wird, weil er oder sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Fehler in einem Graffiti ausbessern musste. Nicht, dass ich das je tun würde. Und nein, ich halte keine Sprühdose hinter meinem Rücken. Ganz bestimmt nicht. Gibt überhaupt keinen Grund, nachzusehen.

 

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