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Gib’s mir warm!

 

Lange hab’ ich es aufgeschoben, doch diesen Winter war es unausweichlich: Ein neuer Wintermantel musste her. Kaum ändert sich das Körpergewicht, passt man nicht mehr in den Inhalt seines Kleiderschranks, wer hat dieses System überhaupt erfunden? Also was macht man als moderner Mensch? Das Haus verlassen, zur nächsten Einkaufsstraße pilgern und einfach einen Mantel kaufen? Natürlich nicht. Da muss man ja unter Menschen. Unter! Menschen! Wie das schon klingt. Nein, nein, das machen wir schön von zuhause aus, wofür gibt es schließlich Online-Shops? Zum Internet!

 

Im Nachhinein betrachtet wäre es vielleicht doch schmerzfreier gewesen, unter Menschen zu gehen. Ich sitze also da, klicke mich durch Optionen, bemitleide schon jetzt mein Konto und lese Produktrezensionen, schließlich soll das gute Stück wieder ein paar Jahre halten. Doch in den Reviews sticht mir mit all der Freundlichkeit einer tollwütigen Wespe, die ein paar zu viele Tropfen Red Bull abgekriegt hat, immer wieder ein Ausdruck ins Auge: „gibt warm“. Der Mantel gibt warm. Tolle Jacke, gibt schön warm.

 

Giiiiiibt waaaaaaarm...

 

Ich versuche erst mal, meine aufgerollten Nägel und aufgestellten Haare wieder zu glätten. Sprache ist flexibel und man soll ja aufgeschlossen sein. Aber in all meinen Jahren habe ich diese Konstruktion noch nie gehört. Ich habe keine Ahnung, woher sie kommt; ich weiß nur, dass „gibt warm“ für mich das linguistische Äquivalent zu einer zerkratzten Schallplatte darstellt. Nackenhaare wieder glätten; man muss aufgeschlossen sein. Was ist das, ein norddeutscher Ausdruck? Ich hatte mal eine Berliner Großmutter, die hätte das doch sicher mal erwähnt. Bayrischer Ausdruck? Oh Gott, ist es gar... Sächsisch?

 

Doch, Moment, ich erinnere mich vage an diese Heidegger-Abhandlung, besprochen an irgendeiner Stelle einer uninteressanten Germanistik-Vorlesung, in der ich vielleicht oder vielleicht auch nicht zu sehr damit beschäftigt war zu überlegen, ob man sich Pizza in den Hörsaal liefern lassen kann (was ich dann letzten Endes doch nicht ausprobiert habe). Heidegger war doch kein Bayer. Zu Google!

 

Eineinhalb Stunden frustrierende Recherche später habe ich immer noch keine Antwort. Heidegger kam aus Baden-Württemberg, das ist nahe an Bayern, aber ich werde mich gefälligst hüten zu sagen, es sei dasselbe, weil ich ungern mit Weißwürsten gesteinigt werde. Ist wohl eine sehr regionale Wendung. Heidegger hin oder her, „gibt warm“ klingt furchtbar. „Gibt Wärme“ kann man ja noch durchgehen lassen. „Hält warm“ wäre doch auch nett, warum kann niemand „hält warm“ tippen? Ist es verwandt mit dem schweizerischen „Ich habe kalt“? Ist das verwandt mit Trapattonis „Ich habe fertig“? Fragen über Fragen. Was ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen kann, ist dass viele Leute, allem Anschein nach deutschen Ursprungs – sicher brave Bürger und auch sonst ganz anständige Menschen – es im Internet verwenden und noch mehr Leute – sicher auch brave Bürger – ihnen sagen, sie sollen das gefälligst lassen. Dazwischen argumentieren zwei oder drei mit Heidegger. Pff, Heidegger. Was will der schon machen, ist er nicht seit gefühlten zweihundert Jahren tot?

 

Jetzt muss ich natürlich erst mal nachschlagen, wann der zurecht verstorbene Herr Heidegger verschieden ist.

 

Na ja, einen Wintermantel hab’ ich jetzt immer noch nicht. Was lasse ich mich auch so sehr ablenken? Also wieder rein in den Online-Schützengraben und Tunnelblick auf die Wintermäntel. Auf keinen Fall die Rezensionen lesen. Dann habe ich vielleicht vor Mitternacht fertig.

 

Falls irgendjemand da draußen in den Weiten des Internets mir „gibt warm“ erklären will... ja, bitte, um Himmels Willen, bitte erklärt mir, wie das passiert ist! Und wie man es wieder los wird!

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