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Weisheiten aus dem Lektorat

Na ja, nicht wirklich. Aber es ist Sommer und ihr wollt doch im (hoffentlich existierenden) Urlaub sicher keine schwere literarische Kost hinunterwürgen. Hier also leicht verdauliche Erkenntnisse aus dem Lektorats-Alltag:

  • Satzzeichen sind keine Rudeltiere. Besonders Ausrufezeichen gehören in Einzelhaltung. Um Sir Terry Pratchett zu paraphrasieren, multiple Ausrufezeichen sind ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand die Unterhose auf dem Kopf trägt.
  • Irgendwo lauert immer ein doppeltes Leerzeichen.
  • Wikipedia zählt nur dann als Quelle, wenn man die Querverweise überprüft. Und dann kann man genauso gut einfach diese Quellen nehmen.
  • Apropos: Man findet in den Online-Katalogen jeder Bibliothek immer bessere Quellen, wenn man vor Ort ist. Nicht von zuhause aus. Definitiv nicht in dem netten neuen Café, das man mal ausprobieren wollte. Isso.
  • Neologismen sollten eigentlich nur mit Warnhinweisen ausgeliefert werden. Ich denke da an „Vrapfen“. Zum ersten Mal gesehen auf einem handgeschriebenen Schild. Jemand hat einen Strich beim K vergessen, wie witzig! Beömmele mich wie blöd und stelle mir dabei diesen Hund vor [Hundebild]. Finde einen Tag später heraus, das sind einfach nur vegane Krapfen.
  • Es gibt Wörter, mit deren Schreibweise ist man aus unerfindlichen Gründen einfach nicht einverstanden. Ich für meinen Teil habe eine Liste angelegt. Diese Wörter werden immer nachgeschlagen, wenn ich sie irgendwo sehe. Kontext? Wen kümmert‘s? Ich habe es vor zwei Sekunden erst nachgeschlagen? Sei‘s drum, wir schauen noch einmal. Eines davon ist „widerspiegeln“. Vielleicht ist es mein Hang zur Symmetrie, aber der Drang, da ein zweites „ie“ reinzuhängen ist schon sehr groß. Ergibt es semantisch Sinn? Nein. Ergibt es etymologisch Sinn? Nein. Will ich es trotzdem tun? Ja! Für die Ästhetik!
  • Steven King sagt: Schreiben ist menschlich, lektorieren ist göttlich. Allerdings fühlen sich erstaunlich wenig Götter dazu berufen, angestrengt auf einen Bildschirm zu starren und liebevoll sämtliche Konjunktive zu korrigieren. Während dabei mindestens ein Auge langsam zu zucken beginnt.
  • Wenn Lektoren Pokémon wären, dann wären sie entweder vom Typ Psycho, Kampf oder Normal. Vielleicht auch eine Kombination.
  • Und wenn ihr euch jetzt ein kleines bebrilltes Wesen mit Überbiss vorstellt, welches die ganze Zeit nur „Lektor“ sagt ... ja, so stell ich mir das auch vor.
  • Floskeln sind Folter.
  • Bei Werbeplakaten spielt man das gute alte Spiel „Schreibfehler oder Wortwitz“ doch sehr viel öfter, als man annehmen sollte.
  • Anglizismen sind was Schönes, wenn man weiß, wie man sie benutzt. Bei Dingen wie „Urban Imkering“ ziehe ich allerdings die Grenze. Eine lange Grenze. Mit Stacheldraht und Landminen.
  • Wenn jemand seinen Text „pfiffig“ oder „knackig“ möchte – lauf!
  • Wenn ich noch einmal das Wort pfiffig höre, werde ich backpfiffig.


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