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Kommentar zum Wort des Jahres 2018

Alle Jahre wieder, wenn man die Feiertage erfolgreich überlebt hat und der wohlverdiente Kater der Silvestereskapaden langsam abgeklungen ist, kann man sich schon auf das nächste große Event freuen: Die Wahl zum Wort bzw. Unwort des Jahres. Sollte eigentlich von Rechts wegen ebenfalls mit einer riesigen Party begangen werden, aber Weihnachten schlägt immer so eine Bresche ins Budget. Egal. Wir - Linguisten, Sprachfanatiker und andere Leute, die ihre Samstagabende zuhause verbringen - freuen uns trotzdem.

 

Nun wohne ich aber eben in Österreich. Entsprechend gestaltet sich auch das Wort des Jahres: Schweigekanzler. Leute eines gewissen Alters (ähem, ähem, ich) fragen sich an dieser Stelle, ob es langsam Zeit für Tabletten wird. Dé­jà-vu? Das kommt mir so bekannt vor. Spinne ich oder hatten wir das nicht schon mal?

 

Ja, wir hatten. Vor dreizehn Jahren. Was nur wieder zeigt, dass sich in über einem Jahrzehnt auch nicht unbedingt viel verbessert hat (nicht zu politisch werden, nicht zu politisch werden ...). Da muss man doch tatsächlich wie ein linguistisch veranlagter Totenbeschwörer alte Wörter des Jahres wieder ins Diesseits rufen. Geschichte wiederholt sich. Oder wir sind einfach sehr, sehr unkreativ.

 

Viel interessanter ist natürlich wieder das Unwort. Unwort des Jahres auf dieser Seite der Alpen: Datenschutzgrundverordnung. Zu Recht. Was haben wir gelitten in der ersten Jahreshälfte! Alles rennet, rettet, flüchtet sich zum nächsten Anwalt und überarbeitet die AGB und die Datenschutzerklärung mit all der Entspanntheit eines tollwütigen Eichhörnchens auf Crack. Eigentlich hat das Ganze ja einen Sinn. Eigentlich. So von wegen Datenklau und Datenhandel, siehe Facebook und die anderen halb-gefallenen Titanen. Da ein bisschen dran zu sein und nachzuhaken, das soll uns mal alle nicht stören. Der durchschnittliche Wald- und Wiesen-Unternehmer hingegen findet sich durch die Verordnung plötzlich in einer ganz neuen Branche wieder: P2P, Panic-to-Paranoia.

 

Aber genug von dem Trauerspiel. Kommen wir zum Jugendwort des Jahres. Beim Thema Jugendsprache führt sich dieses Land ja auf wie jemand, der bereits als Neunzigjähriger geboren wurde. „Oida“? Und auf dem zweiten Platz „nice“? Och, kommt schon! Die verwenden wir seit Jahren. Und nicht nur die jungen Leute, ähem, ähem. Wie wär‘s mal wieder mit was Neuem? Da sieht man mal, wie hart die armen Influencer arbeiten müssen, um alltägliche Wörter endlich ins Bewusstsein der Massen zu tragen. Da möchte man doch mal wissen, wer in der Kommission dieser Wortwahl sitzt. Und ob er noch immer sauer darüber ist, dass Jesus ihm beim letzten Abendmahl kein Trinkgeld gegeben hat. Zumindest sollte er mittlerweile über die Sache mit den Dinosauriern hinweg sein.

 

Mein persönliches Wort des Jahres ist mal wieder ein Anglizismus: „mood“. Einfach nur, weil ich es so oft benutze, wahlweise auch in der Steigerungsform „whole mood“. Es ist im Prinzip eine sehr verkürzte Form, um auszudrücken: „Ja, ich stimme emphatisch und möglicherweise empathisch zu.“

 

Leichte Enttäuschung über den Anglizismus des Jahres: „Gendersternchen“. Das ist nur ein halber Anglizismus, ihr habt mich reingelegt, Freund*innen. Bekomme ich den Rest gutgeschrieben? Und als dritte/n Anwärter*in finden wir schon wieder „nice“. Wie viele Leute kellnerten da eigentlich beim letzten Abendmahl?

 

Aber was ist denn dann mein persönlicher Anglizismus des Jahres? Ganz einfach, das ist gleichzeitig auch mein Satz des Jahres, denn Multitasking ist eine Tugend: „Weird flex but okay.“ Auch eine verkürzte Form; zu Deutsch könnte man wohl sagen: „Das ist ein sehr seltsamer Sachverhalt, mit dem du hier gerade prahlst, aber ich werde dem nichts entgegensetzen, hauptsächlich weil ich a) keine Lust und b) Besseres zu tun habe.“ Ah, Englisch.

 

Und ja, es ist möglich, dass ich 2018 einen unorthodoxen Teil meiner Zeit im Internet verbracht habe.

 

In diesem Sinne, auf ein weiteres Jahr voller schöner Wörter!

 



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